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Dienstag, 12. März 2013

Neulich, in der Therapie....


Ein  Beispiel, das aufzeigt, wie die erfolgreiche Zusammenarbeit eines eingespielten Therapiebegleithundeteams aussehen kann.


Manuel lebt in einer Einrichtung für behinderte Erwachsene. Seine Angehörigen wandten sich an mich, weil er seit längerer Zeit immer kaum noch sprach, impulsiver und teilweise aggressiv reagierte. Sie hofften, dass über den Einsatz eines Tieres vielleicht wieder mehr Zugang zu ihm aufzubauen sei.

Shiva und ich besuchen Manuel nun seit einigen Wochen in seiner Wohngruppe. Er hat uns problemlos akzeptiert und freut sich, wenn er uns sieht. Um ihm den Weg in die Kommunikation zu erleichtern, habe ich beschlossen, mit ihm zusammen ein Kommunikationsbuch zu erstellen, aus welchem er sich immer seine Therapieinhalte aussuchen darf. Er wählt immer zuerst ein Spiel mit Shiva aus und genießt es, wenn sie ihm vorsichtig die Leckerlies aus den Fingern knabbert.

Einmal war Manuel sehr abgelenkt und unruhig. Er freute sich zwar kurz, als wir aus dem Aufzug kamen, aber in sein Zimmer mitgehen wollte er nicht. Er flatterte nervös mit den Armen und wich beharrlich aus. Es dauerte eine geraume Zeit, bis es mir endlich gelang, den unwilligen jungen Mann ins Zimmer zu locken.
Shiva, die die ganze Zeit geduldig auf uns gewartet hatte, begrüßte uns wedelnd und stupste zur Begrüßung Manuels Hand, um gestreichelt zu werden, wurde jedoch noch ignoriert. Wir setzen uns auf die Bettkante und ich holte sein Kommunikationsbuch, um herauszufinden, womit er beginnen wollte, konnte ihn aber nicht dazu bringen, auf mich einzugehen.  Shiva wartete die ganze Zeit über aufmerksam, bis ihr der Geduldsfaden riss und sie das Ruder übernahm. Sie legte ihm den Kopf auf die Knie und blickte ihn beharrlich an.  Das erreichte ihn! Vorsichtig berührte er Shivas Kopf und sagte ihren Namen. Schnell bot ich ihm das Buch an und er entschied sich für das Ballspiel mit ihr.

Nach Beendigung ihres Einsatzes darf Shiva immer etwas trinken und sich im Zimmer einen Ruheplatz suchen. Sie steht kurz unschlüssig da und lässt sich dann direkt vor Markus auf den Boden plumpsen. Manuel schaut kurz überrascht, freut sich jedoch, berührt sie einige Male und sagt „Shiiiva?“

Wir einigen uns als nächsten Schritt darauf, ein Buch anzuschauen. Kurz gelingt es mir, Manuel für die Geschichte zu interessieren, dann wird er unruhig und möchte aufspringen, stößt aber mit den Füßen gegen Shiva, die sich nicht regt und hält inne, streichelt sie und beruhigt sich wieder. Wir können weiter arbeiten. Manuel stößt noch einige Male unbeabsichtigt gegen Shiva, zieht aber immer wieder vorsichtig seine Füße zurück und wendet sich wieder mir zu. Auf diese Weise schaffen wir es, 25 Minuten konzentriert und motiviert zusammen zu arbeiten.

In dieser Sequenz wird dem Hund viel abverlangt. Zunächst muss sie in einer kaum vertrauten Umgebung alleine warten, obwohl außerhalb des Zimmer viel Tumult und Aufregung herrscht.


Sie apportiert einen Ball und behält ihn so lange im Fang, bis Manuel es schafft, sich auf sie zu konzentrieren und ihn ihr abzunehmen. Dann bleibt sie so lange still sitzen, bis er sie belohnt hat  (dieser Teil fällt ihr nicht sehr schwer, da sie lieber Leckerlies frisst, als einen Ball zu apportieren). Manuel mag das Gefühl der knabbernden Hundezähne und hält die Leckerlies immer sehr lange fest – auch dies muss der Hund gelassen akzeptieren.


Was danach passierte, ist für mich immer wieder erstaunlich. Es ist schon häufiger passiert, dass Shiva in einer Therapie eigenständige Entscheidungen traf, aber es berührt mich dennoch jedes mal aufs Neue. Sie hat gespürt, dass Manuel unruhig und nervös ist und hat sich selbständig als eine Art Blitzableiter angeboten. Natürlich hätte ich ihr nie abverlangt, sich vor einen aufgeregten Erwachsenen abzulegen, es war ihre eigene Entscheidung. Ich habe zwar sie schon häufiger bei Kindern mit ADHS erfolgreich eingesetzt, indem sie entweder auf oder neben die Kinder während einer Übung abgelegt habe. Durch die Wärme und den Druck und durch die Möglichkeit, in ihrem Fell herumzuwuscheln, kommen die kleinen Patienten zur Ruhe und können sich meist bedeutend länger auf die Therapieinhalte konzentrieren als ohne diese Hilfestellung.

Intuitiv hat Shiva richtig auf Manuels Stress reagiert und ihm mit ihrer ruhigen Präsenz einen Rahmen gegeben, in welchem er seine Aufmerksamkeit auf die Therapieinhalte lenken konnte.

Sprachtherapeutisch konnte ich durch den Einsatz des Hundes Erhebliches erreichen: Es ist fraglich, ob ich Manuel an diesem Tag überhaupt für meine Materialien hätte interessieren können. Das Spiel mit Shiva, dass ihm so viel Spaß macht, motivierte ihn, sich mit mir auseinander zu setzen. Er konnte einige seiner körperlichen Spannungen durch das gezielte Ballwerfen abbauen und seinen Fokus weg von seiner inneren Unruhe auf die Interaktion mit Shiva legen. Während des Ballspiels trat er in Kommunikation mit ihr: Ich werfe – Du bringst – ich nehme den Ball – Du nimmst ein Leckerlie dafür. Es ist sehr deutlich, dass es einfach und angenehm für Manuel ist, nonverbal mit Shiva zu interagieren; die Kommunikation gelingt, beide sind zufrieden am Ende und ich kann diese positive Grundlage nutzen, und meine Arbeit darauf aufbauen.

Inzwischen brauche ich Shiva übrigens gar nicht mehr, um mit Manuel in Kontakt zu treten. Er ist zur Zeit viel mehr an dem interessiert, was ich ihm Spannendes mitgebracht habe und die "Shivazeit" rückt oft an zweite oder dritte Stelle - in meinen Augen ist das ein sehr großer Therapieerfolg!

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