Ein Beispiel, das aufzeigt, wie die
erfolgreiche Zusammenarbeit eines eingespielten
Therapiebegleithundeteams aussehen kann.
Manuel lebt in einer
Einrichtung für behinderte Erwachsene. Seine Angehörigen wandten
sich an mich, weil er seit längerer Zeit immer kaum noch sprach,
impulsiver und teilweise aggressiv reagierte. Sie hofften, dass über den Einsatz eines Tieres vielleicht wieder mehr Zugang zu ihm aufzubauen sei.
Shiva und ich besuchen Manuel nun seit
einigen Wochen in seiner Wohngruppe. Er hat uns problemlos
akzeptiert und freut sich, wenn er uns sieht. Um ihm den Weg in die Kommunikation zu erleichtern, habe ich beschlossen, mit ihm zusammen ein
Kommunikationsbuch zu erstellen, aus welchem er sich immer seine Therapieinhalte
aussuchen darf. Er wählt immer zuerst ein Spiel mit Shiva aus und
genießt es, wenn sie ihm vorsichtig die Leckerlies aus den Fingern
knabbert.
Einmal war Manuel sehr abgelenkt und
unruhig. Er freute sich zwar kurz, als wir aus dem Aufzug kamen, aber
in sein Zimmer mitgehen wollte er nicht. Er flatterte nervös mit den
Armen und wich beharrlich aus. Es dauerte eine geraume Zeit, bis es
mir endlich gelang, den unwilligen jungen Mann ins Zimmer zu locken.
Shiva, die die ganze Zeit geduldig auf
uns gewartet hatte, begrüßte uns wedelnd und stupste zur Begrüßung
Manuels Hand, um gestreichelt zu werden, wurde jedoch noch ignoriert.
Wir setzen uns auf die Bettkante und ich holte sein
Kommunikationsbuch, um herauszufinden, womit er beginnen wollte, konnte ihn aber nicht dazu bringen, auf mich einzugehen. Shiva wartete die ganze Zeit über aufmerksam, bis ihr der Geduldsfaden riss und sie das Ruder übernahm. Sie legte ihm den Kopf auf die Knie und blickte ihn beharrlich an. Das erreichte ihn! Vorsichtig berührte er Shivas Kopf und sagte ihren Namen. Schnell bot ich ihm das Buch an und er entschied sich für das Ballspiel mit ihr.
Nach Beendigung ihres Einsatzes darf Shiva
immer etwas trinken und sich im Zimmer einen Ruheplatz suchen. Sie
steht kurz unschlüssig da und lässt sich dann direkt vor Markus auf
den Boden plumpsen. Manuel schaut kurz überrascht, freut sich
jedoch, berührt sie einige Male und sagt „Shiiiva?“
Wir einigen uns als nächsten Schritt
darauf, ein Buch anzuschauen. Kurz gelingt es mir, Manuel für die
Geschichte zu interessieren, dann wird er unruhig und möchte
aufspringen, stößt aber mit den Füßen gegen Shiva, die sich nicht
regt und hält inne, streichelt sie und beruhigt sich wieder. Wir
können weiter arbeiten. Manuel stößt noch einige Male
unbeabsichtigt gegen Shiva, zieht aber immer wieder vorsichtig seine
Füße zurück und wendet sich wieder mir zu. Auf diese Weise
schaffen wir es, 25 Minuten konzentriert und motiviert zusammen zu
arbeiten.
In dieser Sequenz wird dem Hund viel
abverlangt. Zunächst muss sie in einer kaum vertrauten Umgebung
alleine warten, obwohl außerhalb des Zimmer viel Tumult und
Aufregung herrscht.
Sie apportiert einen Ball und behält
ihn so lange im Fang, bis Manuel es schafft, sich auf sie zu
konzentrieren und ihn ihr abzunehmen. Dann bleibt sie so lange still
sitzen, bis er sie belohnt hat (dieser Teil fällt ihr nicht sehr
schwer, da sie lieber Leckerlies frisst, als einen Ball zu
apportieren). Manuel mag das Gefühl der knabbernden Hundezähne und
hält die Leckerlies immer sehr lange fest – auch dies muss der
Hund gelassen akzeptieren.
Was danach passierte, ist für mich
immer wieder erstaunlich. Es ist schon häufiger passiert, dass Shiva
in einer Therapie eigenständige Entscheidungen traf, aber es
berührt mich dennoch jedes mal aufs Neue. Sie hat gespürt, dass
Manuel unruhig und nervös ist und hat sich selbständig als eine Art
Blitzableiter angeboten. Natürlich hätte ich ihr nie abverlangt, sich vor einen aufgeregten Erwachsenen abzulegen, es war ihre eigene Entscheidung. Ich habe zwar sie schon häufiger bei Kindern mit
ADHS erfolgreich eingesetzt, indem sie entweder auf oder neben die
Kinder während einer Übung abgelegt habe. Durch die Wärme und den
Druck und durch die Möglichkeit, in ihrem Fell herumzuwuscheln,
kommen die kleinen Patienten zur Ruhe und können sich meist bedeutend
länger auf die Therapieinhalte konzentrieren als ohne diese
Hilfestellung.
Intuitiv hat Shiva richtig auf Manuels Stress reagiert und ihm mit ihrer ruhigen Präsenz einen Rahmen
gegeben, in welchem er seine Aufmerksamkeit auf die Therapieinhalte
lenken konnte.
Sprachtherapeutisch konnte ich durch
den Einsatz des Hundes Erhebliches erreichen: Es ist fraglich, ob ich
Manuel an diesem Tag überhaupt für meine Materialien hätte
interessieren können. Das Spiel mit Shiva, dass ihm so viel Spaß
macht, motivierte ihn, sich mit mir auseinander zu setzen. Er konnte
einige seiner körperlichen Spannungen durch das gezielte Ballwerfen
abbauen und seinen Fokus weg von seiner inneren Unruhe auf die
Interaktion mit Shiva legen. Während des Ballspiels trat er in
Kommunikation mit ihr: Ich werfe – Du bringst – ich nehme den
Ball – Du nimmst ein Leckerlie dafür. Es ist sehr deutlich, dass es einfach und angenehm für Manuel ist, nonverbal mit Shiva zu interagieren; die
Kommunikation gelingt, beide sind zufrieden am Ende und ich kann
diese positive Grundlage nutzen, und meine Arbeit darauf aufbauen.
Inzwischen brauche ich Shiva übrigens gar nicht mehr, um mit Manuel in Kontakt zu treten. Er ist zur Zeit viel mehr an dem interessiert, was ich ihm Spannendes mitgebracht habe und die "Shivazeit" rückt oft an zweite oder dritte Stelle - in meinen Augen ist das ein sehr großer Therapieerfolg!